Aufgewachsen als Weiße im Kontext der Apartheid in Südafrika, war Cherryl Duncan mit dem Gefühl der Fremdheit von klein auf vertraut. Ihr Heimatland zu verlassen, war für sie nahezu folgerichtig. Die Erfahrung, aufgrund ihrer Hautfarbe nicht zwangsläufig Schuld zu empfinden, machte sie erst, als sie nach München kam, wo sie sich emotional, spirituell und sozial am richtigen Platz fühlt.
Kinderfotos: privat
Fotos: Cherryl Duncan/ theconsciouslab.com
Woran denkst Du spontan, wenn Du den Begriff „Heimat“ hörst?
Das ist nicht ganz einfach zu beantworten, weil das Konzept „Heimat“ mir eher fremd ist. Ich kann weder Südafrika, wo ich geboren wurde und über 30 Jahre meines Lebens verbracht habe, als Heimat bezeichnen, noch München, wo ich seit mittlerweile neun Jahren lebe, auch wenn ich mich dort zu Hause fühle. Generell empfinde ich eher so eine Art Heimatlosigkeit.
Wann ist Dir das klar geworden?
Ich bin in Johannesburg in einer Familie aufgewachsen, die entschieden gegen Apartheid war. Insbesondere mein Vater hat das System vehement abgelehnt. Gleichwohl fühlte er sich in Südafrika sehr zu Hause; er ist sogar ausgesprochen patriotisch und sehr mit dem Land verbunden. Aber er hat mich immer daran erinnert, dass es nicht wirklich unser Land ist. Bei mir hat dies – auch wenn das nie seine Absicht war – wohl dazu geführt, dass ich immer das Gefühl hatte, nicht dorthin zu gehören. Das hat es mir später zweifellos leichter gemacht zu gehen.
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Empfindest Du es als Defizit, kein Heimatgefühl zu haben?
Manchmal beneide ich die Menschen, die dieses Gefühl haben; die hier in München geboren wurden und aufgewachsen sind und Schulfreunde haben. In gewisser Weise muss dieses sichere Heimatgefühl also sehr wichtig sein. Aber ich selbst habe es nie empfunden, so wichtig kann es für das persönliche Lebensglück also auch wieder nicht sein. Wahrscheinlich ist die Bedeutung einer Heimat individuell sehr unterschiedlich.
Glaubst Du, dass das Empfinden für Heimat ein dauerhaftes oder eher ein temporäres Gefühl ist, das bei bestimmten Gelegenheiten aufscheint, etwa so wie Glück?
Das ist eine interessante Frage. Ich glaube, es ist etwas, das unterschwellig immer da ist. Ich habe heute Morgen ein Video mit dem Jerusalem Song gesehen, der in Südafrika sehr populär und mittlerweile auch global erfolgreich ist. Der Sound ist so typisch für Südafrika; man sieht in dem Video die Kinder, die Menschen dort, die zu diesem Lied tanzen. Das hat mich sehr berührt, und es wird mich immer wieder berühren, auch wenn ich kein ausgesprochenes Heimatgefühl habe. Aber die Menschen zu sehen, die Atmosphäre zu spüren… ja, es ist definitiv ein dauerhaftes Gefühl.
Kannst Du beschreiben, was für ein Gefühl Du heute für Südafrika hast?
Es ist ein trauriges und warmes Gefühl zugleich, denn der politische und gesellschaftliche Wandel, der sich dort vollzogen hat, bewegt mich sehr – und gleichzeitig ist mir klar, dass ich nicht Teil davon bin.
Kannst Du Dich erinnern, was Deutschland in Deiner ersten Zeit hier emotional bei Dir ausgelöst hat?
Ganz genau sogar. Ich habe, als ich hier ankam und so in München herumspazierte, plötzlich nicht mehr empfunden, was ich zuvor auf Schritt und Tritt gefühlt hatte: Scham. Ich hatte mich mein ganzes Leben lang dafür geschämt, weiß zu sein. Und nun konnte ich als weiße Person plötzlich ganz frei herumspazieren, ohne mich schlecht zu fühlen.
Die Idee, nach Deutschland zu gehen, um dort zu leben, war verrückt genug, um mir richtig gut zu gefallen.
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Diese Erfahrung hättest Du jedoch auch in vielen anderen Ländern machen können. Warum bist Du ausgerechnet nach Deutschland gekommen?
Wegen eines Mannes. Ich hatte mich in einen Deutschen verliebt und kam ganz naiv in dem Glauben hierher, dass wir heiraten, für immer zusammenbleiben und Kinder haben würden. Außerdem dachte ich, dass ich ja jederzeit zurückkehren könnte, schließlich ist Südafrika nur ein paar Flugstunden entfernt, keine große Sache also. Aber die Beziehung ist zerbrochen – und ich bin trotzdem geblieben.
Warum?
Wenn ich zurückschaue, würde ich sagen, dass ich Südafrika damals nur zum Teil wegen dieses Mannes verlassen habe. In Wahrheit war sicher auch Abenteuerlust der Grund. Ich war neugierig zu sehen, wie es ist, in Europa zu leben. Es erschien mir so fremd, so aufregend. Die Idee, nach Deutschland zu gehen, um dort zu leben, war verrückt genug, um mir richtig gut zu gefallen (lacht).
Seither lebst Du in München, wo Du als freiberufliche Yogalehrerin und Coach schnell erfolgreich warst. Inwieweit hat Dein Entschluss, Dein ursprüngliches Heimatland zu verlassen, Auswirkungen auf Deine berufliche und persönliche Entwicklung gehabt?
Das war definitiv ganz entscheidend, um meinen Weg und mich selbst zu finden. Als ich Südafrika verlassen habe, hatte ich dort eigentlich alles erreicht, was ich erreichen konnte. Aber in meiner Zeit hier habe ich so viel über mich selbst gelernt! Ich wäre ganz sicher nie den Weg gegangen, den ich gegangen bin und hätte nicht getan, was ich getan habe, wenn ich nicht aus Südafrika fortgegangen wäre.
Wenn ich Südafrika nicht verlassen hätte, hätte ich niemals erreicht, was ich hier geschafft habe.
Cherryl@work
Warum, glaubst Du, wäre das dort nicht möglich gewesen?
In Südafrika war ich als junges Mädchen ziemlich verwöhnt; nicht weil meine Eltern mich verwöhnt hätten, ich bin einfach in ein privilegiertes Leben hineingeboren worden. Meine Familie war jederzeit für mich da, es gab Haushaltshilfen und Leute, die alle möglichen Dinge für mich erledigt haben. Dadurch war das Leben in Südafrika natürlich sehr angenehm für mich und deutlich einfacher als in Deutschland. Eine so privilegierte Art zu leben kann, wenn man sie nicht hinterfragt, Teil deiner Identität werden. Als ich nach Deutschland kam, musste ich erst lernen, mich um die Dinge des täglichen Lebens selbst zu kümmern. Heute bin ich vollkommen unabhängig, und zwar in jeder Beziehung, emotional wie finanziell. Ich fühle mich überall auf der Welt sicher, auch wenn ich ganz allein bin. In Südafrika wäre ich niemals gezwungen gewesen, dieses Level an Unabhängigkeit zu erreichen.
Könntest Du auch in einer anderen Stadt als München leben?
Eigentlich nicht, denn ich liebe München! Zu Anfang hatte ich gedacht, dass es in Deutschland überall ist wie in München. Erst später habe ich realisiert, dass diese Stadt sehr speziell ist. München ist definitiv ein besonderer Ort.
„Wow, es ist so schön hier!“
Inwiefern?
Es ist hier so sicher und sauber und so wunderschön! Ich mag es, in all die kleinen Geschäfte zu gehen, den Gemüseladen, den Metzger, den Weinladen… Und überall treffe ich Leute, die ich kenne. Man hat fast das Gefühl, in einem Dorf zu sein – und nicht in einer Stadt mit eineinhalb Millionen Einwohnern. Und wenn ich auf der Straße jemandem in die Arme laufe, den ich kenne, dann fühle ich mich sehr zu Hause.
Sicherheit, Schönheit, vertraute Menschen… lass uns darauf kurz im Einzelnen eingehen: Wie wichtig ist der Sicherheitsaspekt?
Sehr wichtig, gerade jetzt. Südafrika fühlt sich nicht sicher an. Daher genieße ich die Tatsache, dass ich mich hier frei bewegen und jederzeit sicher fühlen kann, sehr. Auch die Gewissheit, dass hier alles so gut funktioniert, empfinde ich als echten Wert, denn ich komme aus einem Land, in dem die Dinge nicht notwendigerweise reibungslos funktionieren.
Selbst nach neun Jahren noch gehe ich hier durch die Straßen und denke: Wow, es ist so schön hier!
Was bedeutet die Schönheit Deiner Umgebung für Dich?
Johannesburg, wo ich die längste Zeit meines Lebens verbracht habe, ist keine schöne Stadt. Doch bevor ich hierherkam, war mir nicht klar, wie wichtig es für mich ist, in einer wirklich schönen Stadt zu leben. Selbst nach neun Jahren geht es mir hier immer noch so, dass ich durch die Straßen gehe und denke: Wow, es ist so schön hier! Das bedeutet mir sehr viel.
Welche Rolle spielen die Menschen, damit Du Dich zu Hause fühlen kannst?
Es hat definitiv sehr viel mit den Menschen zu tun. Insbesondere da meine Familie sehr weit entfernt ist, ist es wichtig für mich zu fühlen, dass ich hier Menschen habe, die für mich da sind. Wo meine Freunde sind, wo meine Community ist, da bin ich zu Hause.
Gibt es etwas, wonach Du Sehnsucht hast?
Oh ja, definitiv nach dem wunderbaren Seafood, dem großartigen Wein! Für die bayerische Küche kann ich mich dagegen überhaupt nicht begeistern. Allerdings habe ich angefangen, Bier zu trinken (lacht), zumindest im Sommer. Aber auch wenn ich das Essen und den Wein manchmal vermisse: Es ist dieser Dreiklang aus Sicherheit, Schönheit und den Menschen, der für mich ausschlaggebend ist. Das alles habe ich hier.
Kannst Du Dir vorstellen, dass Du an Deinem aktuellen Wohnort Dein ganzes Leben verbringst?
Es fühlt sich so an, ja. Es könnte tatsächlich für immer mein Zuhause sein.
Cherryl Duncan wurde vor 43 Jahren in Johannesburg geboren, wo sie in der Werbebranche Karriere machte – bis sie entschied, ein bewussteres Leben zu führen und als Yogalehrerin und Self Mastery Coach auch anderen zu authentischeren Lebenszielen zu verhelfen. Sie lebte in Ashrams in Indien, studierte Yoga bei berühmten YogalehrerInnen in New York und tibetischen Buddhismus bei Mönchen in Arizona und nahm in Brasilien an schamanischen Ritualen teil. Seit 13 Jahren lebt sie in München.